Rituelles islamisches Gebet im schulischen Kontext

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Das Bedürfnis muslimischer Schülerinnen und Schüler ihr rituelles Gebet im Schulalltag unterzubringen, tritt vor allem in den Wintermonaten in Erscheinung. Da sich die Zeiten am Sonnenstand orientieren, können die Gebete nicht gänzlich zu Hause verrichtet werden. Klärungsbedarf ist vorhanden. Diese Orientierungshilfe will hierzu eine Grundlage geben und aufzeigen, dass konstruktive Wege der Bearbeitung gar nicht so schwer zu erreichen sind. Lösungen sind gleichzeitig individuell zu finden und werden hier nicht vorgegeben. Ziel ist die Förderung gegenseitigen Verständnisses und die Verhinderung, dass Schüler/innen sich in ihrer religiösen Identität zurückgesetzt, missverstanden oder bevormundet fühlen. Vielmehr sollen Schüler/innen in der Schule erfahren, dass ihre Religionsfreiheit respektiert und berücksichtigt wird. Dialogisches Ausverhandeln soll dabei nicht nur ein Training demokratischer Kultur mit sich bringen, sondern auch Achtsamkeit für verschiedene Interessen und Standpunkte in einer zunehmend pluralen Welt fördern.

Religion wird in den Zielbestimmungen österreichischer Schule angesprochen:

„…ist Kindern und Jugendlichen die bestmögliche geistige, seelische und körperliche Entwicklung zu ermöglichen… dem politischen, religiösen und weltanschaulichen Denken anderer aufgeschlossen sein…“ (Bundesverfassung, Art. 14 (5a))

„…an der Entwicklung der Anlagen der Jugend nach den sittlichen, religiösen und sozialen Werten sowie nach den Werten des Wahren, Guten und Schönen…“ (Schulorganisationsgesetz, §2 (1))

Ob Kreuz im Klassenzimmer, konfessioneller Religionsunterricht oder religiöse Übungen – hier spiegelt sich wider, dass in Österreich die Trennung von Staat und Religion nicht laizistisch, sondern im Rahmen eines säkularen Kooperationsmodells verwirklicht wird.

Es gibt kein „Verbot“, welches das Gebet an der Schule untersagen würde, auch keinen Erlass oder dergleichen, der ein Verbot rechtfertigen würde.

Religionsfreiheit wird durch Artikel 14 Staatsgrundgesetz, Artikel 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention und Artikel 10 der EU-Grundrechtscharta geschützt.

Aufgeschlossenheit gegenüber Vielfalt soll als eines der Erziehungsziele österreichischer Schule eingeübt werden und bereitet für das Leben in einer von Diversität geprägten Gesellschaft vor. Demnach wollen Werte wie gegenseitige Rücksichtnahme, Respekt und Achtsamkeit in konkreten Alltagssituationen im Schulleben trainiert werden. Verschiedene Interessen und Bedürfnisse können fair und wertschätzend wahrgenommen und deren mögliche Umsetzung ausverhandelt werden. Der Gleichheitsgrundsatz verhindert dabei einseitige Gewichtungen in Richtung einer einzigen Religion oder Interessengemeinschaft.

  • Eine der „Fünf Säulen des Islams“ – unabhängig von der innermuslimischen Vielfalt daher für alle Musliminnen und Muslime Charakter von Verbindlichkeit, unabhängig davon, ob es regelmäßig praktiziert wird oder nicht.
  • Wie alle gottesdienstlichen Handlungen erlangen diese mit der religiösen Mündigkeit Verbindlichkeit.
  • Religiöse Mündigkeit wird im Islam über die körperliche und geistige Reife definiert – ist daher ein Prozess.      
  • Orientiert sich am Sonnenstand – im Winter fällt daher das Mittags- Nachmittags- und mitunter auch das Abendgebet oft in die Schulzeit.
  • Gewisse Flexibilität durch Wahl des geeigneten Moments innerhalb einer Gebetszeit – IGGÖ hat eine Vereinheitlichung des Gebetskalenders für Österreich erreicht – auf Homepage der IGGÖ täglich aktuelle Zeiten zu sehen, siehe www.derislam.at
  • Sichtbarkeit: Ritueller Ablauf mit festgelegtem Bewegungsablauf, darunter Niederwerfungen, bei denen die Stirn den Boden berührt
  • Reinheit des Ortes erforderlich – daher oft mit Unterlage verrichtet (Teppich)
  • Kleidung im Gebet: Mädchen, die ansonsten kein Kopftuch tragen, tragen zum Gebet eines. Burschen achten auf die Länge der Hosen und Bedeckung des Oberkörpers
  • Ausgerichtet gen Mekka (erstes monotheistisches Gotteshaus, errichtet von Prophet Ibrahim (Abraham), Gebetsapps beinhalten einen Kompass dafür
  • Rituelle Reinheit der Betenden – Gebetswaschung umfasst Hände, Gesicht, Arme und Füße
  • Dauer vor allem abhängig von der Länge der im Rezitationsteil des Korans gewählten Verse – Verbindliche Teile und zusätzliche freiwillige Teile – ein korrekt ausgeführtes rituelles Gebet wäre in ca. fünf Minuten auszuführen
  • Nach Beginn des Gebets spirituelle Versenkung, keine Unterbrechungen, es sei denn bei Gefahr – demnach würden Betende auf Ansprache nicht reagieren
  • Endet mit dem Friedensgruß, der durch das Neigen des Kopfes nach rechts und nach links ausgedrückt wird – Rückkehr in den Alltag und Ziel sich als Teil der Gemeinschaft für diese positiv einzusetzen

Wer die Gebetszeiten im Alltag einhalten möchte, sieht sich in Schule und Beruf diversen Herausforderungen gegenüber: Wie eine diskrete Rückzugsmöglichkeit finden? Wie in der dunklen Jahreszeit die rasch aufeinanderfolgenden Gebetszeiten einhalten? Wie eine Gebetswaschung in einem öffentlichen Waschraum durchführen? Religionsausübung soll immer eine Erleichterung und Stärkung bedeuten. So gibt es zum Beispiel diese Wege:

  • Konzentration auf den verbindlichen Gebetsteil und Auslassung der freiwilligen Teile – damit Reduktion des zeitlichen Aufwands. Dies wird allgemein als Möglichkeit gesehen und praktiziert. Somit ist ein Gebet wie erwähnt in ca. fünf Minuten ausführbar.
  • Zusammenlegen von Gebetszeiten, als Analogie zur Vorgehensweise auf Reisen – Mittags- und Nachmittagsgebet, Abend- und Nachtgebet, jeweils in einer der beiden Zeiten zu beten. Hier gibt es innermuslimisch verschiedene Auffassungen über die Zulässigkeit, wenn man eigentlich nicht auf Reisen ist.
  • Bei der Gebetswaschung verzichten einige auf das Waschen der Füße. Dafür werden diese mit feuchten Händen bestrichen, ohne die Socken oder Strümpfe auszuziehen, da diese direkt nach einer Gebetswaschung angezogen worden waren.

  • „Raum der Stille“ – ein für alle Schüler/innen zugänglicher Raum, um kurz Ruhe zu tanken, ist eine Möglichkeit konfessionsunabhängig dem Bedürfnis nach einem Ort zur Stärkung der inneren Balance nachzukommen.Ob Yoga-Meditation, Rosenkranzbeten oder islamisches Gebet – dies findet nebeneinander und gleichzeitig Platz. Modelle dafür im höheren Schulbereich zu finden (z. B. TGM Wien, HTL Mödling, HAK Neunkirchen)
  • Wo die Aufsichtspflicht Lösungen wie einen „Raum der Stille“ erschwert: Wenn islamische Religionslehrkräfte gerade Unterricht halten, können Schüler/innen dort ihr Gebet verrichten. Dazu wird vereinbart, dass sie leise während der Pausen (wenn sie keinen eigenen Unterricht haben) dazustoßen, zügig und leise ihr Gebet im hinteren Teil des Raums verrichten und ebenso ruhig und diszipliniert den Raum wieder verlassen. Das Timing ist dabei so zu einzuhalten, dass kein eigener Unterricht versäumt wird. Diese Lösung ist vor allem dann praktikabel, wenn es für den Religionsunterricht einen fix zugewiesenen Raum gibt, so dass keine Klassenwechsel stattfinden und eine leichte Auffindbarkeit gegeben ist.
  • Nutzung leerstehender Klassenräume – vor allem von älteren Schülerinnen und Schülern am Nachmittag praktiziert
  • Dialogisches Ausverhandeln: Oft sind es Schulsprecher/innen, die das Bedürfnis nach Einhaltung des islamischen rituellen Gebets thematisieren. Hierzu einen „Runden Tisch“ einzuberufen, bei dem alle Beteiligten Gehör finden, ist ein ausgezeichneter Weg, sachlich nach Lösungen zu suchen. Schon die Erfahrung, gehört und verstanden zu werden und Respekt gegenüber der eigenen Religion zu erfahren, hat eine positive Wirkung. Ehrlicher Dialog kann auch Tendenzen verhindern, dass sich Jugendliche in ihrer religiösen Identität falsch verstanden oder gar abgewertet fühlen. Damit wird empfundenen oder tatsächlichen Situationen von Zurücksetzung und Verdächtigung kein Raum gegeben und damit Gefühlen von Ausgrenzung der Nährboden entzogen. Gleichzeitig wird die Empathie auf muslimischer Seite gestärkt, was die Wahrnehmung anderer Personen mit vielleicht anderen Interessen betrifft. Damit kann eine wichtige Lernerfahrung erfolgen, hin zu demokratischem Agieren bei der Bemühung, verschiedene      Positionen gleichberechtigt zu verwirklichen.
  • Individuelle Lösungen: Insgesamt braucht es angesichts der Vielfalt der standortspezifischen Gegebenheiten eine individuelle Behandlung, bei der obige Ansätze genauer ausgeformt werden könnten. Ähnlich wie die Schutzkonzepte, die für jeden Standort zu erstellen sind, dynamisch zu verstehen sind, besteht auch hier die Möglichkeit, getroffene Vereinbarungen transparent aufzunehmen und damit Klarheit und Sicherheit zu schaffen.

  • Das Gebet dient dem inneren Frieden und soll im sozialen Verhalten nach außen strahlen. Gelingt es mir, das Gebet als persönlichen Kraftspender für meine Aufgaben im Sinne des Gemeinwohls zu nutzen?
  • Religiöse Bedürfnisse im säkularen Raum Schule bedürfen guter Kommunikation. Leiste ich hier meinen Beitrag und mache ich mich dabei im Dialog gut verständlich?
  • Schulische Verpflichtungen – Unterrichtszeiten! – sind einzuhalten. Bin ich hier korrekt? Ziehe ich mein Gebet und die eventuell notwendige Gebetswaschung davor nicht unnötig in die Länge? Transportiere ich diese Gewissenhaftigkeit in der Erfüllung meiner schulischen Pflichten noch außen?
  • Positiver Religionsfreiheit steht negative Religionsfreiheit gegenüber. Berücksichtige ich, dass manche Menschen von Äußerungen persönlicher Religiosität in Ruhe gelassen werden wollen? Bin ich hier möglichst diskret?    
  • Jede Art von Missionierungsgehabe ist dem guten Zusammenleben in gegenseitigem Respekt nicht zuträglich. Achte ich darauf, dass mein Beten nicht als Zurschaustellung des eigenen Glaubens oder gar Druck es mir gleichzutun missverstanden werden könnte? Bedenke ich dies auch im Zusammenhang mit der Art, wie ich bete, etwa dass ich mich dazu persönlich und nicht in großen Gruppen zurückziehe?
  • Wenn das Gebet einmal begonnen wurde, sollte es nicht abgebrochen werden. Habe ich Vorsorge getroffen, falls mich jemand anspricht, dem ich dann nicht antworten kann und der/die andere dies als Unhöflichkeit auffassen könnte? Ist jemand dabei, der die Situation gegebenenfalls erklären könnte? Ich könnte vielleicht auch ein selbstgebasteltes Hinweisschild aufstellen?
  • Entgegengebrachtes Verständnis und Vertrauen verlangen umgekehrt nach Wertschätzung und persönlichem Bemühen, dieses zu verdienen. Halte ich mich an getroffene Vereinbarungen? Integriere ich das Gebet so im Schulalltag, dass es weder aufdringlich wirkt noch Unruhe in gewohnte Abläufe bringt?
  • Schulische Waschräume und Toilettenanlagen sind nicht für Gebetswaschungen konzipiert. Verspritztes Wasser kann eine Rutschgefahr mit sich bringen. Passe ich auf, dass ich diese Orte so sauber und gepflegt zurücklasse, wie ich sie vorgefunden habe?

Im Rahmen des Islamischen Religionsunterrichts wird schülerinnen- und schülerzentriert auf der kompetenzorientierten Ebene von Reflexion und Problemlösung auf diese und ähnliche Fragen eingegangen. Dabei kommt der innere Pluralismus bei manchen Detailfragen zur Sprache. Somit wird ein mündiges Treffen eigener Entscheidungen und verantwortungsbewusster Umgang mit Diversität im Sinne des sozialen Zusammenhalts eingeübt.

Bei weiterem Gesprächsbedarf kontaktieren Sie gerne das Schulamt der IGGÖ