optimis-TISCH (in eine friedvolle Zukunft)

In Wien haben die Schulämter der verschiedenen Religionsgemeinschaften ein gemeinsames Projekt initiiert. Damit soll die gute interreligiöse Zusammenarbeit an den Schulen zusätzlich belebt werden. Hier das Konzept dazu:

THEOLOGISCH-DIDAKTISCHER ZUGANG
DER TISCH – MEHR ALS EIN ALLTAGSGEGENSTAND
Ein Tisch ist ein Tisch. So sagt man. Aber ist es so eindeutig? Ein Tisch ist mehr als ein Tisch. Hier trifft sich die Familie. Gäste kommen und finden Aufnahme in die Hausge-meinschaft. Aufgrund seiner Beschaffenheit ist er von allen Seiten zugänglich und oft Mittelpunkt für sich versammelnde Menschen: beim gemeinsamen Mahl, bei gemein-samen Tätigkeiten, beim (Gesellschafts-)Spiel oder bei Beratungen bzw. Konferenzen. Nicht zu vergessen, die vielen Schreib- und Studiertische, die zum unverzichtbaren Inventar einer Schule gehören! An einem Tisch miteinander zu essen, zu spielen, zu lernen, Gespräche zu führen verbindet alle. Er ist mehr als ein praktisches Möbelstück. Alles, was wir am Tisch tun, erleben und erlebt haben, kann ihn für uns zu einem Symbol für Gemeinschaft und Verbundenheit werden lassen, das uns stärkt und unseren Alltag vertieft.

SEHNSUCHT NACH GEMEINSCHAFT
Die Dichterin Nelly Sachs nennt die Dinge dieser Welt „abgefallenes Stückgut der Sehn-sucht“. In allen Dingen steckt für Nelly Sachs die Sehnsucht: Im Tisch ist es die Sehn-sucht nach Gemeinschaft, nach einem gemeinsamen Mahl, in dem man nicht nur das Miteinander genießt, sondern sich gemeinsam an den Gaben der Schöpfung erfreut. Am Tisch führen wir gute Gespräche, wir stärken uns nicht nur mit Nahrung, sondern auch dadurch, dass wir uns Zeit nehmen, gemeinsam Mahl zu feiern. Das deutsche Wort „Mahl“ hat die gleiche Wurzel wie medicus, also Arzt: Der Tisch, der uns zum Mahl versammelt, hat eine heilende Wirkung auf uns.

ORT DER VERSTÄNDIGUNG UND DER ERKENNTNIS
Wir können „jemanden über den Tisch ziehen“, „die Wahrheit auf den Tisch bringen“ und Probleme „am runden Tisch“ lösen. Allein der Weg, den der Tisch in unseren Sprachgebrauch gefunden hat, manifestiert seine Bedeutung in unserer Gesellschaft. Der Tisch ist zentrales Symbol für Kommunikation und Kontakt, für Gemeinsamkeit und Geselligkeit und althergebracht für die Fülle des Lebens, die vitale Energie, die durch das soziale Miteinander entsteht. Wir setzen uns nicht nur zum Mahl an den Tisch, sondern auch, um gemeinsam Probleme zu besprechen oder Konflikte zu lösen. Der Tisch steht für das Miteinander. Keiner kann die Probleme allein lösen. Da braucht es das gemeinsame Gespräch.

Gleichzeitig gilt es kritisch zu fragen: Wer darf überhaupt am Tisch sitzen? Kann jede/r einen Platz einnehmen oder gilt dies nur für bestimmte Menschen? Ist die Tischgemeinschaft wirklich von Gleichwertigkeit geprägt oder nicht vielmehr von gesellschaftlichen Mechanismen der Herrschaft und des Normalitätsdrucks? Nicht selten kommt es vor, dass an Tischen, an denen wichtige Entscheidungen getroffen werden, Ausgrenzung und Macht demonstriert werden und sich Ein- und Ausschlussvorgänge einer Gesellschaft zeigen.
Nicht zuletzt offerieren Tische Begegnungszonen, um über den „eigenen Tischrand“ hinauszublicken. Man erlebt überraschend mit unbekannten Gästen besondere Mo-mente, in denen man sich intensiv mit jemandem zu unterhalten beginnt, der ein gänz-lich anderes Leben führt oder andere Interessen verfolgt als man selbst. So kann sich aus einer zufälligen Begegnung ein Gespräch entwickeln, aus dem man völlig neue Erkenntnisse schöpft.

Fazit: Die Tische, an denen wir sitzen, stiften eine Art vorübergehender oder sich fort-setzender Gemeinschaft. Gemeinsam an einem Tisch zu sitzen, gibt uns Raum, uns mit uns und anderen über das zu verständigen, was wir sind.

GRENZENLOSE GASTFREUNDSCHAFT
In einigen Kulturen und Religionen ist es üblich, bei Tisch einen Platz für eine Gottheit oder einen zufällig vorbeikommenden Gast freizuhalten. Das ist ein sichtbares Zeichen für Gastfreundschaft, die auch überraschenden Besuch mit einplant. So wird beim jüdischen Passah-Mahl ein Becher Wein für den Propheten Elija eingeschenkt, um auf sein Erscheinen vorbereitet zu sein. In der christlichen Tradition hat die Mahlgemeinschaft eine große Bedeutung. Jesus aß mit den Zöllnern und Sünderinnen. Das gemeinsame Essen der UrchristInnen, das Teilen des Vorhandenen (Besitzes) konstituierte Gemeinschaft und nährte die Vision von einer gerechten Gesellschaft. Bis heute wird dies in Abendmahl und Eucharistie erinnert und aktualisiert.

In der muslimischen Tradition genießt das miteinander geteilte Mahl eine hohe Symbolkraft. Schon Prophet Ibrahim (Abraham) pflegte die Sitte, Gäste dazu zu bitten. Im Koran findet sich in der fünften Sure das an den Propheten Jesus erinnernde Zeichen des vom Himmel gesendeten Mahls und der Prophet Muhammad erinnerte im Sinne des Gastrechts daran, möglichst allzeit für weitere Personen bei Tisch bereit zu sein.

Die Gastfreundschaft ist eine – wenn auch teilweise vernachlässigte – Grundhaltung vieler, vielleicht aller Kulturen der Welt. Dem Fremden Gastrecht zu gewähren, kommt in vielen Religionen eine zentrale Bedeutung zu. Der Tisch wird in diesem Zusammen-hang zum Symbol einer weiten, niemanden ausschließenden Gemeinschaft.

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