Religionsunterricht in der öffentlichen Schule im ökumenischen und interreligiösen Dialog – Der islamische Religionsunterricht 

Das Islamgesetz von 1912 ermöglichte Musliminnen und Muslimen in Österreich die Schaffung einer eigenen religiösen Vertretung im Jahre 1979. Als eine der ersten Aufgaben ging die somit ins Leben gerufene Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich die Einrichtung eines Religionsunterrichtes an den öffentlichen Schulen an.  Im folgenden Artikel soll dieser islamische Religionsunterricht, nachfolgend bezeichnet mit IRU, näher vorgestellt werden und dabei ein Hauptaugenmerk auf den Beitrag im interreligiösen Dialog gelegt werden. Nach einem kurzen Rückblick in die Anfangszeit des Religionsunterrichts geht es zunächst um den prinzipiellen Stellenwert von Dialog aus muslimischer Sicht. Danach wird die Relevanz einer interreligiösen Zugangsweise im Schulalltag auch anhand verschiedener Beispiele beleuchtet. Wie auf Weiterentwicklungen im Schulwesen – verstärkte Kompetenzorientierung und damit zusammenhängend die Neue Reifeprüfung – in interreligiöser Kooperation reagiert wird, gilt dabei besonderes Augenmerk.  Schließlich soll die Schule auch als Ort betrachtet werden, in den die aktuellen Diskurse hineinreichen. Für den Religionsunterricht ergeben sich unter der Prämisse möglichst dicht an der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler zu arbeiten neue Herausforderungen, Diskussionen zu gesellschaftspolitischen Themen zu führen, von denen sich die Schülerinnen und Schüler (nachfolgend „SuS“) betroffen fühlen.

Religionsunterricht als Beitrag zur Stärkung der Identität als muslimisch und österreichisch 

Im Schuljahr 1982/83 konnte der IRU an österreichischen Schulen starten. Sehr rasch zeigte sich seine wichtige Funktion für das sich ausbildende Identitätsgefühl der SuS. Zu erleben, dass sie genauso “ihren“ Religionsunterricht hatten wie ihre meist katholischen oder evangelischen Schulkameraden schafft ein Gefühl des angenommen-Seins in der eigenen Religion und erleichtert damit ein Zugehörigkeitsgefühl zu Österreich. Bis heute setzt der IRU auf die Möglichkeit einer sehr lebensnahen Vermittlung, der wichtigen Einsicht, dass es ganz selbstverständlich ist, sich gleichzeitig als muslimisch und österreichisch zu begreifen. 

Deutlich wurde auch, wie sehr der notwendige innermuslimische Diskurs durch die bunte Mischung der verschiedenen Herkunftsländer gefördert wird und im Erleben innerer Vielfalt wichtige Reflexionsprozesse in Gang gesetzt werden. Dies verdeutlicht das Beispiel eines Schülers der ersten Volksschulklasse, der auf die Frage nach seiner Religion mit „Türkisch!“ antwortet. Er hatte wahrgenommen „anders“ zu sein und dabei Religion und ethnische Herkunft vermischt. Im Zusammensein mit den anderen Kindern macht er nun einige wichtige Erfahrungen: Über Religion kann man auch auf Deutsch reden. Ja, als verbindende Sprache zwischen Muslimen unterschiedlicher Herkunftsländer ist dies auch die sinnvollste Möglichkeit der Kommunikation. Später wird er feststellen, dass es im Dialog auch die Kompetenz braucht, nicht nur in der Muttersprache über den Islam reden zu können… Vor allem aber wird über den islamischen Religionsunterricht religiöse Identität vermittelt, wobei der ethnische Hintergrund zwar auch reflektiert wird, etwa wenn es um lokale Ausprägungen der Glaubenspraxis geht. Kein Muslim und keine Muslimin sollen sich allerdings aufgrund des Herkunftslandes als etwas „Besseres“ als andere sehen. Innermuslimische Vielfalt kann im Religionsunterricht wahrgenommen werden und gleichzeitig so bearbeitet, dass das Verbindende des gemeinsamen Lebensmittelpunktes in Österreich in den Mittelpunkt gerückt wird. Der islamische Auftrag, sich wo man auch lebt in der Gemeinschaft nützlich zu machen, fördert das Ziel des sozialen Zusammenhalts. Gleichzeitig muslimisch und österreichisch sein zu können, wird so nicht nur theoretisch vermittelt, sondern durchgehend erfahrbar gemacht. 

Anfangsschwierigkeiten in der Etablierung 

Gerade in der Anfangszeit gab es große Skepsis seitens vieler Eltern, die mit Erwartungshaltungen an den IRU traten, die dieser weder erfüllen konnte, noch wollte. Geprägt vom Unterricht in den Herkunftsländern wünschten sie sich vor allem ein Auswendiglernen von Koranversen. Zudem verwechselten viele den Unterricht mit einer Art „Heimatkunde“ und wollten ihren Kindern ein Stück Islamkultur des Ursprunglandes vermitteln. Am besten sollten die Unterrichtenden dazu auch in der Muttersprache reden. Leicht war es auch nicht, geeignetes Lehrpersonal zu finden. Oft war zwar eine sehr gute theologische Ausbildung vorhanden, aber keinerlei Vertrautheit mit dem österreichischen Schulsystem oder pädagogischen Standards. Auch die Ausdrucksmöglichkeiten in der deutschen Sprache waren mitunter alles andere als befriedigend. Zwar gab es hier immer wieder „Naturtalente“, doch eine wirkliche Qualitätsbesserung konnte erst mit der Einrichtung der IRPA eintreten, einer eigenen Ausbildungsstätte für islamische Religionslehrer/innen.  Somit liefen der Prozess der Etablierung eines qualitativ an österreichischen Standards angepassten Unterrichts und dessen Akzeptanz bei den Eltern der SuS parallel zueinander ab.  

Statistik über die Teilnahme am islamischen Religionsunterricht 

Die Zahlen über den Besuch des islamischen Religionsunterrichts entwickeln sich kontinuierlich nach oben. Im Jahr 2015/16 unterrichteten insgesamt 592 Lehrerinnen und Lehrer an 2190 Schulen insgesamt 10.685 Wochenstunden für 70.054 Schülerinnen und Schüler. 

Religionslehrer/innen als Mittelspersonen 

Das Schulamt der Islamischen Glaubensgemeinschaft legt größten Wert darauf, dass allgemeine Unterrichtsprinzipien der Schule wie etwa die Erziehung zur Gleichstellung der Geschlechter oder zu einer demokratischen Grundhaltung auch durch den IRU gefördert werden. Mit einer Verbesserung der Unterrichtsbedingungen, etwa indem immer mehr Unterrichtsstandorte eingerichtet werden konnten und Unterricht parallel zum katholischen auf den Vormittag gelegt werden konnte, erhöhte sich nicht nur dessen Attraktivität. Vor allem verbesserte sich auch die kollegiale Zusammenarbeit an den Standorten. Damit konnte der IRU ein Image abstreifen, das ihn fast auf eine Ebene mit Vereinstätigkeiten rückte, die an der Schule spätnachmittags oder abends stattfinden. Hier zeigt sich auch, wie wesentlich der Dialog für den Religionsunterricht ist. Auch außerhalb des Klassenzimmers sind Religionslehrer/innen gefragt, um Orientierung zu geben in Fragen interkulturellen Verständnisses und als Experten zur Frage: „Was steckt hinter diesem oder jenem Verhalten – Religion oder Tradition?“. Oft sind sie Mittelspersonen zum Elternhaus. Diese zusätzliche Rolle ist nicht zu unterschätzen für das gesamtgesellschaftliche gute Zusammenleben. 

Eine dialogische Grundhaltung  

Vor allem ein Koranvers wird gerne zitiert, um den guten Dialog geradezu als Lebenseinstellung zu propagieren: „O ihr Menschen, Wir haben euch aus Mann und Frau erschaffen und euch zu Völkern und Stämmen gemacht, auf dass ihr einander kennenlernen möget…“ (Koran 49:13) Dieses Zitat steht auch am Anfang von „Islamstunde 5“, einem der durch den Veritas-Verlag heraus gegebenen neuen Religionsbücher für den Unterricht. Den Austausch zu suchen und somit das respektvolle Miteinander in einer pluralistischen Gesellschaft zu fördern, ist eine der Grundkompetenzen, auf die man sich im Rahmen der Überlegungen zur Gestaltung der Neuen Oberstufe interreligiös verständigte. Selbstverständlich können SuS diese Kompetenz dann besonders lebendig und praxisnah erfahren, wenn sie in den eigenen Religionslehrer/innen hier auch ein Vorbild finden. 

Relevanz des Dialogs im Schulalltag 

Die kollegiale Zusammenarbeit konnte in den vergangenen Jahren wachsen. Wenn es die Stundenplangestaltung erlaubt, so wird immer öfter von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, gemeinsame Unterrichtsstunden zu gestalten. Gerne findet dies auch im Rahmen von Projektarbeit statt, etwa zu Themen wie „Prophet Abraham/Ibrahim“. Über die inhaltliche Auseinandersetzung mit Themenstellungen, die in der Dialogsituation das gegenseitige Verständnis und damit den Respekt vor dem Religionsbekenntnis anderer fördern, ist vor allem auch das lebendige Vorbild der Lehrerinnen und Lehrer selbst entscheidend. Wird hier eine Umgangskultur gepflegt, die menschliche Verbundenheit und echte Sympathie ausstrahlt, so macht dies theoretische Ausführungen über eine Ethik des Miteinanders und Füreinander erfahrbar. Das kollegiale Engagement ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Dies ist ablesbar daran, wie viele multireligiöse Feiern inzwischen an der Schule gemeinsam gestaltet werden. In der Flüchtlingshilfe arbeitet man gleichfalls eng zusammen. Zusätzlich seien auch außergewöhnlich Aktivitäten mit großer Strahlkraft genannt wie etwa die gemeinsame Reise eines Rabbiners – zugleich Fachinspektor für jüdische Religion – und eines Imams – zugleich Religionslehrer an einer Wiener AHS (Allgemeinbildende Höhere Schule) nach Jerusalem und Istanbul, die auch in einem Filmprojekt festgehalten wurde und als Buch nachzulesen ist. 

Konfessionelle Schulen und ihre besondere Rolle im interreligiösen Dialog 

Konfessionellen Schulen kommt naturgemäß eine besondere Rolle zu, wenn es um das Interreligiöse geht. Eltern erwarten sich ein religionsfreundliches Klima, wenn sie ihre Kinder dort anmelden. Hervorzuheben ist, dass auch die christlichen konfessionellen Schulen von muslimischen Eltern geschätzt werden. Steigende Schüler/innenzahlen geben davon Zeugnis. Auf Nachfrage wird der wertschätzende Umgang mit Religion an sich, gleich welchen Bekenntnisses, als Entscheidungskriterium für die Anmeldung ebenso hervorgehoben wie die Vermittlung eines Wertebewusstseins, in dem soziale Kompetenzen im Mittelpunkt stehen. An konfessionellen Schulen gibt es keine Abmeldung vom Religionsunterricht. Schon bei der Einschreibung wird dies klar festgelegt. Umso mehr sind die Religionslehrer/innen aber einberufen, einen so qualitativ hochwertigen Unterricht anzubieten, dass auch jene Schüler/innen, die sich an einer öffentlichen Schule abgemeldet hätten, wie dies in Österreich ab dem Alter von 14 Jahren möglich ist, davon mitgerissen werden. Interreligiöse Projektarbeit wird an konfessionellen Schulen großgeschrieben. Auch multireligiöse Feiern werden mit viel innerer Beteiligung so gestaltet, dass die Erfahrungswerte daraus inzwischen reiches Material für andere Standorte ergeben. Als besonders bereichernd wird erlebt, dass sich die Begegnung und Auseinandersetzung mit unterschiedlichen religiösen Hintergründen nicht nur auf einzelne herausragende „inszenierte“ Ereignisse beschränkt, sondern in den Unterrichtsalltag hineinreicht. Hier geht es also nicht nur um eine Bildungsarbeit, die dem um sich greifenden religiösen Analphabetismus entgegenwirkt, sondern vor allem um eine Ausgestaltung von Beziehungsarbeit zwischen allen Menschen am Schulstandort. Religiöse Bildung hilft unabhängig davon, wie gläubig sich ein Mensch individuell begreift, ein kritisches Bewusstsein gegenüber populistischen Verengungen und Zuschreibungen zu entwickeln. Dies erscheint in einer Zeit wachsender Feindbildpflege als sehr notwendig. Auf der Beziehungsebene hat die simple Erkenntnis: „Wir können Freunde sein!“ bei gleichzeitiger bewusster Anerkennung eines anderen Religionsbekenntnisses größte Tragweite auch für die zukünftige Einstellung gegenüber religiöser Vielfalt. 

Herausforderungen in der Schulentwicklung gemeinsam angehen 

Über diese Ebene enger Kooperation an den Schulstandorten haben die Herausforderungen in der Schulentwicklung die institutionelle Vernetzung und Zusammenarbeit gefördert. Seit dem Schuljahr 2016/17 ist die IRPA als Ausbildungsstätte zukünftiger islamischer Religionslehrer/innen durch einen Kooperationsvertrag unter das Dach der KPH (Kirchliche Pädagogische Hochschule) Wien/Krems gekommen, was den schon zuvor bestehenden guten Austausch auf eine weitere Stufe enger Kooperation hebt. Diese Entwicklung ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass es in der Lehrerausbildung Neu die klassische reine Ausbildung zum Religionslehrer/in nicht mehr gibt. Zu absolvieren ist ein allgemeines Studium für den APS-Bereich, in dessen Verlauf Schwerpunkte – etwa die Qualifizierung in Richtung des Religionsunterrichts – gesetzt werden können. Hier war es sinnvoll, dass die IRPA sich an der KPH eingliedert, weil sie als kleinerer Standort eine komplette APS-Ausbildung kaum hätte anbieten können. Studierende profitieren davon, bereits im Studium Interreligiösität zu leben. Dies sollte dann auch im Berufsleben die Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen anderer Konfessionen zur Selbstverständlichkeit werden lassen. 

An der Universität Innsbruck besteht seit 2014 die Möglichkeit islamische Religionspädagogik zu studieren. Der interreligiöse Diskurs spielt für den Institutsleiter Univ. Prof. Zekerija Sejdini eine zentrale Rolle. „Die Grundlage der wertschätzenden Begegnung der Menschen und der dazugehörigen Religionen ist der Mensch. Menschsein ist unsere Gemeinsamkeit, es gilt diese in den Mittelpunkt zu stellen und darauf aufbauend eine Religionspädagogik und -didaktik zu etablieren“, so Sejdini in einem Interview anlässlich der feierlichen Eröffnung.1 Seither hat das Institut wesentlich zur Belebung des interreligiösen Dialogs auf akademischem Niveau in Westösterreich beitragen können. 

Nicht nur die Neuausrichtung der Lehrer/innen-Ausbildung brachte Anstöße, sondern auch die Erfordernisse bei der Entwicklung der neuen kompetenzorientierten mündlichen Reifeprüfung. Wegweisend ist die Einigung auf ein gemeinsames Kompetenzraster. Mit der Einigung wurde nicht nur ein starkes Zeichen gesetzt. Mehr noch als die Dimensionen Perzeption, Kognition, Performanz, Interaktion und Partizipation vermittelt die Definition der Anforderungsbereiche wie „Menschen und Lebensorientierung“, „gelehrte und gelebte Bezugsreligion“ oder „Religion in Gesellschaft in Kultur“, dass alle Religionen nach einem Unterrichtsstil streben, der die Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler stark in den Blick nimmt. Wenn bei der mündlichen Reifeprüfung eine Leistung, die sich auf die bloße Wissensreproduktion beschränkt, mit „genügend“ zu bewerten wäre, weil die Ebenen des Transfers und der Reflexion und Problemlösung unberührt geblieben sind, so setzt dies einen begrüßenswerten Anstoß. Gerade die Religionen stehen in der öffentlichen Wahrnehmung noch stark im Verdacht, vor allem „einzupauken“, was man halt zu glauben habe. Dass ein moderner Religionsunterricht hier auch Raum gibt für ein mündiges und kritisches Hinterfragen, trägt letztlich auch zur innerreligiösen Diskurs- und Entwicklungsfähigkeit bei. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch eine Pluralismusfähigkeit, die nicht zuletzt in einem Zulassen innermuslimischer Vielfalt und dessen bewusster und wertschätzender Wahrnehmung liegt. Daher ist der gelingende innermuslimische Diskurs, wie er auch von den Schulen ausgeht, ein wesentlicher Faktor, junge Menschen auch gegenüber der wachsenden gesamtgesellschaftlichen Pluralität mit einer Grundhaltung auszustatten, die Vielfalt gegenüber positiv eingestellt ist und das Gemeinsame in den Vordergrund rückt. 

„Die richtige Frage ist die Hälfte der Wissenschaften“ 

An diesen berühmten Ausspruch des vierten Kalifen Imam Ali denken wohl viele Unterrichtende, wenn SuS genau jene Fragen formulieren, die für die Entwicklung einer zeitgemäßen und zugleich authentischen islamischen Theologie richtungsweisend sein können. Aus ihrer Realität heraus besteht nicht nur das große Bedürfnis, das Image des Islams in der Öffentlichkeit zum Besseren gestalten zu können und somit Antworten zu bekommen, wenn es darum geht, Begriffe wie „Dschihad“ oder „Scharia“ nicht der Deutungshoheit terroristischer Extremisten zu überlassen oder dem Boulevard, der vor allem deren Verzerrungen bereitwillig übernimmt. Jugendliche haben auch sehr persönliche Fragen nach der eigenen Glaubenspraxis in einem Umfeld, in dem ihre Religion eine Minderheit bildet, noch dazu in einem Klima, das immer mehr von allgemeiner Skepsis gegenüber Religion gekennzeichnet ist. Wie in einem Brennglas bündeln sich die Herausforderungen, denen sich muslimische Verantwortungsträger/innen heute stellen müssen, richtet man den Blick auf die Schulen. Wie das Friedenspotential der Religion stärken? Den spirituellen Kern erlebbar machen? Den Bereich der muamalat, der sozialen Erfordernisse und Beziehungen, unter geänderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen theologisch ausgestalten? Also Orientierung geben von ökonomischen Fragen nach gerechtem Wirtschaften über die Abfassung eines Testaments nach islamischen Prinzipien bis hin zu einer geschlechtergerechten Auslegung der islamischen Quellen, die patriarchale Rollenbilder überwinden helfen. Wer als Imam oder gar Mufti erleben will, wo die dringenden Bedürfnisse nach theologischer Fortentwicklung liegen, bräuchte nur den SuS im islamischen Religionsunterricht ein Ohr schenken. 

Religionen und ihre Rolle für den sozialen Zusammenhalt 

In der Diskussion dieser Fragen hat sich der Blick über den eigenen Tellerrand hinaus als sehr befruchtend erwiesen. Vor allem wenn es um drängende Fragen der zunehmend von Globalisierung betroffenen Moderne geht, können Gläubige in ihren Positionen zu Themen wie Schöpfungsverantwortung oder dem Streben nach friedlichen Konfliktlösungsstrategien durchaus aus der Vielfalt der religiösen Hintergründe Positionen ableiten, die viel Gemeinsames in sich tragen. Gerade in Fragen der Ethik und eines Wertebewusstseins können sich Religionsgemeinschaften einem populistischen Trend entgegenstellen das Eigene bevorzugt über die Ablehnung eines perzipierten „Fremden“ vorzunehmen.  So können Gräben in der Gesellschaft überwunden werden. Dies auch den jungen Menschen bewusst zu machen, ist ein wichtiger Weg um Begriffe wie Solidarität oder soziale Gerechtigkeit mit einer unmittelbar erfahrbaren Dimension auszustatten. Letztlich kann sich somit eine auf Gott vertrauende, optimistische Grundhaltung ergeben, mit der sich junge Menschen gerne ihrer eigenen mündigen Verantwortung stellen und sich Perspektiven eigenen Handelns eröffnen. 

Aufwertung des Images von Religionsunterricht – Gemeinsam geht es leichter! 

Im Schulzeugnis steht das Fach „Religion“ noch ganz oben und verweist damit auf eine historische Vergangenheit, die sich heute ganz anders darstellt. Vor allem in Großstädten wie Wien ist ein skeptischer Blick auf Religion an sich spürbar. Bilden Glauben und Wissen nicht ein Gegensatzpaar? Sollte Schule nicht ein „religionsneutraler“ Raum sein? Ein Trend sich das französische Modell von Laizität herbeizuwünschen, das so ganz anders als das bewährte österreichische Kooperationsmodell von Säkularität ist, dem auch der staatlich geförderte Religionsunterricht seine Existenz verdankt, ist nicht zu ignorieren. Gestalter/innen des Religionsunterrichts müssen dies als Auftrag sehen, die Qualität des Unterrichts weiter zu heben und diesen als Fach „wie jedes andere“ zu etablieren. Aktuell bieten sich dazu auch Chancen, indem etwa die Betreuung vorwissenschaftlicher Arbeiten der Maturierenden selbstverständlich auch von Religionslehrer/innen erfolgen kann. Die Themenwahl kann, muss aber nicht im Umfeld des eigenen Fachs liegen. Hier können sich die Religionslehrer/innen wie auch bei den mündlichen Reifeprüfungen und deren Prüfungsgesprächen als Vertreter/innen im geisteswissenschaftlichen Bereich zeigen, die ein breites Feld abdecken. Oft ergeben sich interdisziplinäre Bezüge, ist doch Religion – und nicht nur die christliche –historisch und kulturell in Europa tief verwurzelt. Ohne religiöses Wissen lässt sich auch die Gegenwart weniger gut begreifen. Die Religionsgemeinschaften tun gut daran, gemeinsam an einem Bewusstsein zu arbeiten, das die Bedeutung des Religionsunterrichtes im Bildungsprogramm der Schulen außer Frage stellt. 

Carla Amina Baghajati

Dieser Aufsatz erschien in der Publikation: 
„Religionsunterricht in der öffentlichen Schule im ökumenischen und interreligiösen Dialog“, hrsg. von Johann Bair und Wilhelm Rees. Innsbruck University Press 2017 

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